Erstellt am 20. September 2024
Text: Philipp Grabner Visualisierung: Victoria Hainzl
Entscheidung des Jahres, Kanzlerduell, Richtungswahl – der Urnengang am 29. September 2024 hat schon viele Zuschreibungen erhalten.
Fakt ist: Österreich wählt einen neuen Nationalrat. Und damit die 183 Abgeordneten, die in den nächsten fünf Jahren maßgeblich über die Politik in unserem Land mitbestimmen. Grund genug für die NÖN, sich diesem Ereignis ausführlich zu widmen – wöchentlich in der Printausgabe und im E-Paper sowie täglich auf NÖN.at – mit Interviews, Berichten, Reportagen, Analysen, Einschätzungen und Kommentaren.
Ergänzend dazu haben wir an dieser Stelle alles zur Nationalratswahl zusammengefasst, alles, was Sie für Ihre Entscheidung am 29. September wissen müssen.
Alle aktuellen Informationen zur Nationalratswahl finden Sie im dazugehörigen NÖN.at-Channel: https://www.noen.at/nationalratswahl
Mit einem Kreuzerl bei einer der (neun bundesweit und elf landesweit kandidierenden) Parteien können alle Landsleute ab 16 Jahren bei der Nationalratswahl mitbestimmen. Zusätzlich können bis zu drei Vorzugsstimmen an Kandidatinnen und Kandidaten vergeben werden – auf Bundes-, Landes- und Regionalebene. Dabei ist allerdings Vorsicht geboten: Die Person(en), der Sie Ihre Vorzugsstimme geben, muss der gewählten Partei angehören – andernfalls ist die Vorzugsstimme ungültig.
Der Nationalrat setzt sich aus insgesamt 183 Abgeordneten zusammen – er wird spätestens alle fünf Jahre neu gewählt. Erreicht eine Partei zumindest vier Prozent der Stimmen (oder ein Direkt- beziehungsweise Grundmandat in einem Wahlkreis), ist sie künftig in der Parlamentskammer vertreten.
Aktuell hält die ÖVP 71 Mandate, die SPÖ 40, die FPÖ 30, die Grünen 26 und die NEOS 15. Eine Mandatarin, Pia Philippa Beck, gehört keinem Parlamentsklub an. 2019 hatte sie für die Freiheitlichen kandidiert. Zu Beginn der Gesetzgebungsperiode wählt der Nationalrat aus seiner Mitte das Präsidium – aktuell ist Wolfgang Sobotka (ÖVP) Erster Präsident, Doris Bures (SPÖ) ist Zweite Präsidentin, Norbert Hofer (FPÖ) Dritter Präsident. Sie leiten die Geschäfte des Nationalrates und führen auch die Sitzungen. Ist das Staatsoberhaupt verhindert, vertreten sie als Kollegium auch diesen.
Um für einen Sitz im Nationalrat zu kandidieren, muss man mindestens 18 Jahre alt sein.
Präsidium Nationalrat (v.l. Doris Bures, Wolfgang Sobotka, Norbert Hofer)
Die Volkspartei geht als Titelverteidigerin ins Rennen – sie war 2019 auf dem ersten Platz gelandet, damals allerdings noch mit Sebastian Kurz an der Spitze. Nach Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zog sich dieser 2021 aus der Politik zurück, auf Kurzzeit-Kanzler Alexander Schallenberg folgte der bisherige Innenminister Karl Nehammer, einst Mitarbeiter in der ÖVP Niederösterreich.
Karl Nehammer
Nehammer ist nun auch Spitzenkandidat – und will den Job des Bundeskanzlers behalten. NÖ-Spitzenkandidat ist Nehammers Nachfolger im Innenministerium, Gerhard Karner, einst Zweiter Landtagspräsident. Und Listenzweite (und laut ÖVP Teil einer „Doppelspitze“) ist Verteidigungsministerin Klaudia Tanner. Nicht mehr kandidieren wird hingegen NÖs Ex-Landeshauptmann-Stellvertreter Wolfgang Sobotka, aktuell Nationalratspräsident.
Gerhard Karner
Die Sozialdemokraten landeten 2019 auf dem zweiten Platz – damals mit der früheren Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner an der Spitze. Nach einem Parteitag inklusive folgenreicher Auszählungspanne wurde schließlich der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler Parteivorsitzender – und nicht, wie zunächst angenommen, der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.
Andreas Babler
Babler ist nach wie vor Stadtchef seiner Heimatgemeinde sowie Mitglied des Bundesrates. In Niederösterreich kandidiert der Gewerkschafter Rudolf Silvan an erster Position – er ist Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft Bau-Holz Niederösterreich und sitzt seit 2019 als Abgeordneter im Nationalrat. Listenzweite ist die Brucker SPÖ-Bezirksfrauenvorsitzende Silvia Kumpan-Takacs. Die Ränge drei und vier gehen an die Nationalräte Robert Laimer (St. Pölten) und Petra Tanzler (Wiener Neustadt).
Rudolf Silvan
Herbert Kickl führt nicht nur die Bundesliste der FPÖ an, sondern auch die Landesliste in Niederösterreich. Gestartet wird von Platz drei weg, Umfragen sehen die FPÖ meist auf dem ersten Platz. Der gebürtige Villacher Kickl ist seit 2021 Bundesparteiobmann der Freiheitlichen – er hatte den Dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer beerbt. Zwischen 2017 und 2019 war er Innenminister, aktuell ist er „blauer“ Klubchef im Parlament.
Herbert Kickl
Auf den Plätzen zwei und drei der Landesliste kandidieren die beiden Generalsekretäre Michael Schnedlitz (Wiener Neustadt) und Christian Hafenecker (Lilienfeld), Listenplatz vier besetzt Ex-Bundespräsidentschaftskandidat und Volksanwalt Walter Rosenkranz (Krems).
Michael Schnedlitz
Seit fünf Jahren regieren die Grünen im Bund mit der ÖVP als Juniorpartner – zuletzt gab es in der Koalition vor allem aufgrund der Zustimmung von Umweltministerin Leonore Gewessler zum EU-Renaturierungsgesetz Streit. Als Spitzenkandidat führt einmal mehr Werner Kogler die Grünen ins Rennen, er hatte schon 2019 als Frontmann kandidiert – und fungiert seitdem als Vizekanzler, zunächst an der Seite von Sebastian Kurz, nun an jener von Karl Nehammer.
Werner Kogler
In Niederösterreich kandidiert Nationalratsabgeordnete Elisabeth Götze aus Eichgraben (Bezirk St. Pölten) an Position eins auf der Landesliste, gefolgt von Süleyman Zorba aus Traismauer (St. Pölten) und Ulrike Fischer aus St. Andrä-Wördern (Bezirk Tulln).
Elisabeth Götze
Die „Pinken“ werden erneut von Klub- und Parteivorsitzender Beate Meinl-Reisinger in den Wahlkampf geführt. Die frühere Wiener Landtagsabgeordnete ist seit 2018 Parteivorsitzende – sie hatte damals Matthias Strolz beerbt.
Beate Meinl-Reisinger
Bislang sind die NEOS im Nationalrat der kleinste Klub – derzeit zählen die „Pinken“ 15 Abgeordnete. In Niederösterreich führt Nationalratsabgeordneter Nikolaus Scherak aus Oberwaltersdorf (Bezirk Baden) die Landesliste an, gefolgt von Martina Künsberg-Sarre aus Perchtoldsdorf und Gertraud Auinger-Oberzaucher aus Baden.
Nikolaus Scherak
Diskussion von NÖN & ORF
Premiere zum Höhepunkt des Intensivwahlkampfs vor dem 29. September: Erstmals luden der ORF Niederösterreich und die NÖN gemeinsam zur „Elefantenrunde“, also zur Diskussion der Landesspitzen der fünf Parlamentsparteien. Gerhard Karner (ÖVP), Rudolf Silvan (SPÖ), Christian Hafenecker (FPÖ), Elisabeth Götze (Grüne) und Nikolaus Scherak (NEOS) stellten sich den Fragen von NÖN-Chefredakteur Walter Fahrnberger und ORF NÖ-Vizechefredakteurin Claudia Schubert.
Diskussion im ORF NÖ-Funkhaus in St. Pölten: Elisabeth Götze (Grüne), Gerhard Karner (ÖVP), ORF NÖ-Chefredakteur-Stellvertreterin Claudia Schubert, NÖN-Chefredakteur Walter Fahrnberger, Rudolf Silvan (SPÖ), Christian Hafenecker (FPÖ) und Nikolaus Scherak (NEOS).
Um (bundesweit) auf dem Stimmzettel zu stehen, benötigen Parteien entweder die Unterschrift dreier Nationalratsabgeordneter – oder 2.600 Unterstützungserklärungen, aufgeteilt auf einen Bundesländer-Schlüssel. Zweiteres ist vier Parteien gelungen: Der Bierpartei rund um Dominik Wlazny, der Namensliste von Ex-Grünen-Politikerin Madeleine Petrovic aus Gloggnitz im Bezirk Neunkirchen, der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) und der Liste „Der Wandel“, die als „Keine von denen“ antritt.
Lediglich in einzelnen Bundesländern treten drei weitere Parteien an. Einzig im Burgenland mit dabei sind „Die Gelben“, in jeweils sieben von neun Ländern (darunter NÖ) kandidieren die Liste MFG („Menschen - Freiheit - Grundrechte“) und die „Liste Gaza“.
Der Wandel
Tobias Schweiger, Bundesspitzenkandidat KPÖ
Joachim Aigner , Spitzenkandidat MFG
Madeleine Petrovic mit den Kandidatinnen Monika Henninger-Erber und Nora Summer
Astrid Wagner, Kandidatin „Liste Gaza“
Die Mandatsvergabe verläuft auf drei Ebenen. Die oberste Ebene ist die Bundesebene, also Österreich insgesamt. Ebene zwei sind die neun Landeswahlkreise, die identisch mit den Bundesländern sind. Ebene drei (und Ausgangspunkt) sind jedoch die 39 Regionalwahlkreise, die sich über ganz Österreich verteilen. NÖ zählt sieben solcher Wahlkreise.
Im ersten Ermittlungsverfahren werden Grundmandate mittels Wahlzahl vergeben:
Gültige Stimmen im Bundesland werden durch die Zahl der Mandate im Bundesland geteilt. Grundmandate erzielen vor allem größere Parteien. 2017 etwa wurden 99 Mandate auf diese Weise vergeben, wobei NEOS und Liste Pilz kein einziges Grundmandat schafften. Die Mehrheit ging an ÖVP, SPÖ und FPÖ.
Im zweiten Ermittlungsverfahren, der Landesebene, werden Mandat anhand der bereits berechneten Wahlzahl vergeben. Dabei werden nur Parteien berücksichtigt, die ein Grundmandat oder bundesweit mindestens vier Prozent der gültigen Stimmen erreicht haben. Die übrigen Mandate werden in dritter Runde vergeben – Basis dafür sind alle gültigen Stimmen.
Die übrigen Mandate werden in dritter Runde vergeben – Basis dafür sind alle gültigen Stimmen.
Neben einem Kreuzerl für ihre/seine bevorzugte Partei können Wählerinnen und Wähler bei der Nationalratswahl auch Vorzugsstimmen vergeben – insgesamt drei:
Seit der Nationalratswahl 2013 können Wählerinnen und Wähler theoretisch die Umreihung von Bewerbern erwirken, wenn diese besonders viele persönliche Stimmen erhalten.
Karin Praprotnik
In der Praxis ist die Rolle der Vorzugsstimmen aber weniger wichtig, sagt Politikwissenschafterin Katrin Praprotnik von der Universität Graz – trotz den Wahlrechtsreformen von 1992, bei der das Persönlichkeitswahlrecht gestärkt werden sollte. Nach wie vor hätten in Österreich die Parteien das Heft in der Hand, „der Eingriff der Wählerinnen und Wähler in die konkrete Reihung ist sehr gering“, sagt Praprotnik. Meist würden ohnehin die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten unterstützt, sagt Praprotnik.
Nationalratswahl 2024
Welche Rolle spielen Vorzugsstimmen? Wie viel Macht hat der Bundespräsident in Bezug auf die nächste Bundesregierung? Und welche Auswirkungen auf das Bilden von Mehrheiten hat das Antreten mehrerer Kleinparteien? NÖN.at hat mit der Politikwissenschafterin Katrin Praprotnik von der Universität Graz gesprochen.
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Tatsächlich ist dieser Termin der spätestmögliche, denn die Legislaturperiode dauert genau fünf Jahre an. Die Nationalratswahl findet nun genau fünf Jahre nach dem letzten Urnengang statt.
Neben den fünf im Parlament vertretenen Parteien haben es vier weitere Gruppierungen geschafft, bundesweit auf dem Stimmzettel zu stehen. Neben der Namensliste von Ex-Grünpolitikerin Madeleine Petrovic und der Liste „Keine von denen“ sind dies die KPÖ und die Bierpartei – den beiden Letztgenannten räumen Umfragen durchaus Chancen auf einen Sprung über die Vier-Prozent-Hürde ein.
Wenn aber mehrere Kleinparteien knapp den Einzug ins Parlament verpassen, hat das auch Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat. „Wenn viele Kleinparteien knapp scheitern, dann haben es die anderen leichter, eine Mehrheit zustandezubringen. Je mehr Parteien ins Parlament kommen, umso schwieriger wird es“, erklärt Expertin Katrin Praprotnik. Ein „bunterer“ Nationalrat mache das Bilden von Koalitionen „komplexer“.
Bei jenen Parteien, die nur in einzelnen Bundesländern auf dem Stimmzettel stehen, sei es „tatsächlich sehr schwierig“, dass diese auch den Sprung ins Parlament schaffen, sagt Praprotnik, brauche es für einen Einzug doch entweder das Erreichen der Vier-Prozent-Hürde oder ein Direkt- beziehungsweise Grundmandat im Regionalwahlkreis. „Und es macht durchaus Sinn, dass medial eigentlich nie über diese Schiene gesprochen wird, da diese Mandate im Regelfall die größeren Parteien erhalten.“ Immerhin spreche man da von einem Anteil von etwa 25 Prozent.
Dass es sich bei der Nationalratswahl um eine „Kanzlerwahl“ handelt, wie manche gerne behaupten, ist falsch. Nach der Wahl kommt es – wenn keine Partei eine „absolute Mehrheit“ erreicht (und das ist zu erwarten) – zu einer Regierungsbildung aus zumindest zwei Parteien. Die Bundesregierung (inklusive des Kanzlers und der Minister) wird vom Bundespräsidenten angelobt.
Nach der Nationalratswahl ist es üblich, dass das Staatsoberhaupt den Vorsitzenden der stimmenstärksten Partei damit beauftragt, eine Regierung zu bilden. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte in der Vergangenheit betont, FPÖ-Spitzenkandidat Herbert Kickl bei einem allfälligen Wahlsieg diesen Auftrag nicht automatisch zu erteilen, was von der FPÖ mit scharfer Kritik beantwortet worden war.
Wie viel Handlungsspielraum hat der Bundespräsident also tatsächlich? „Formal hat er einigen Handlungsspielraum“, sagt Katrin Praprotnik, könne das Staatsoberhaupt doch einen Kanzler ernennen, der aus seiner Sicht passend erscheint. „In der Praxis braucht der Bundespräsident aber eine Regierung, die vom Nationalrat gestützt wird beziehungsweise wo sich keine Mehrheit gegen sie findet.“ In der Politikwissenschaft sei hier von „negativem Parlamentarismus“ die Rede, erklärt Praprotnik. „Es braucht im Nationalrat zwar kein Votum für eine Regierung, damit sie ins Amt kommt, aber es braucht eine Regierung, die nicht eine Mehrheit gegen sich hat.“
Noch vor einer etwaigen Regierungsbildung muss im Nationalrat ein neues Präsidium gewählt werden. Die Usance, dass die drei stimmenstärksten Parteien die Präsidenten (wie es aktuell der Fall ist) stellen, basiert auf „Spielregeln, die nicht niedergeschrieben sind“, erklärt die Expertin. Es werde „von der konkreten Mehrheitsbildung nach der Wahl“ abhängen, ob an dieser Regel festgehalten wird, meint Katrin Praprotnik. Lande die FPÖ etwa auf Platz eins, während sich aber eine Regierungsmehrheit ohne sie bildet, könnte die Usance auch gebrochen werden, glaubt die Expertin.
Wer am Wahltag nicht persönlich ins Wahllokal kommen kann, hat die Möglichkeit, per Brief zu wählen – zum Beispiel, wenn man etwa zur Zeit der Wahl im Ausland weilt. Eine Wahlkarte kann online oder persönlich am Rathaus oder Gemeindeamt beantragt werden – und dann entweder in einem beliebigen Wahllokal in Österreich abgegeben oder per Brief abgeschickt werden. Die Beantragung einer Wahlkarte etwa acht Wochen vor der Wahl möglich – letzte Möglichkeit ist am zweiten Tag vor dem Wahltag.
Gültig ist eine Vorzugsstimmen nur dann, wenn sie mit der gewählten Partei übereinstimmt. Kreuzt man etwa Partei A, aber einen Kandidaten von Partei B an, verfällt die Vorzugsstimme, es zählt nur das Voting für die Partei.